Die Filmstarts-Kritik zu Nobody (2024)

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Nobody

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

4,0

stark

Nobody

Ausgerechnet ein Niemand macht John Wick ernsthafte Konkurrenz!

Von Sidney Schering

Ein vermeintlicher Niemand legt sich mit der russischen Mafia an – und muss daraufhin mit den Konsequenzen klarkommen! Das klingt nach austauschbarer B-Actionware, wie sie sonntagsnachts im Privatfernsehen versendet wird. Oder wie ein Direct-to-Video-Titel, in dem sich ein ohnehin ausgedienter Actionheld noch weiter selbst demontiert. Aber die Verantwortlichen hinter diesem „Nobody“ wecken Hoffnung auf mehr: Das Drehbuch stammt von „John Wick“-Autor Derek Kolstad, als Produzent dient „Atomic Blonde“-Regisseur David Leitch, Regie führt Ilya Naishuller, der Macher des brutalen Egoshooter-Filmerlebnisses „Hardcore“. Ein starkes Team, dem es gelungen ist, den „Better Call Saul“-Star Bob Odenkirk zum überraschend herausragenden Actionhelden zu formen.

Der in der Vorstadt lebende Familienvater Hutch (Bob Odenkirk) ist ein ausgemachter Schlaffi: Er hat einen langweiligen Job, seine Ehe mit Becca (Connie Nielsen) ist leidenschaftslos – und sein Adrenalinspiegel rauscht allein beim wöchentlichen Versuch, die Mülltonne rechtzeitig vor die Tür zu stellen, kurz in die Höhe. Als eines Nachts zwei Verbrecher in sein Haus einsteigen, springt sein Sohn Brady (Gage Munroe) ebenso mutig wie leichtsinnig in die Bresche. Hutch hingegen steht nur wie eingefroren herum. Brady ist von seinem Vater enttäuscht, Hutchs Arbeitskollegen machen sich über den Feigling lustig. Aber schon bald wird sich Hutch in einen wahren Gewaltrausch hineinsteigern, der ihn mit der geballten Macht der russischen Mafia sowie mit seinem wahren, lang verheimlichten Ich konfrontiert…

Die Filmstarts-Kritik zu Nobody (1)

Familienvater Hutch (Bob Odenkirk) ist längst nicht der "Nobody", für den ihn immer alle gehalten haben ...

Eine alte Faustregel besagt, dass ein Held nur so gut sein kann wie sein Gegenspieler. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, der von David Leitch produzierte und von Derek Kolstad geschriebene „John Wick“ zählt etwa dazu. Während sich der von Keanu Reeves verkörperte Titelheld innerhalb kurzer Zeit zu einer strahlenden Legende des Actionkinos hochgekämpft hat, dürften nur die Wenigsten noch an Michael Nyqvists Performance als Gangsterboss Viggo Tarasov zurückdenken. In dieser Hinsicht landet „Nobody“ allerdings einen Volltreffer, dennAleksey Serebryakov macht den Mafiaboss Yulian Kuznetsov zu einer nuancierten, fast schon sympathischen Figur.

Kuznetsov leitet einen der Mafia als Fassade, Treffpunkt und Geldwäscherei dienenden Nachtclub, in dem er allerdings lieber ausgelassen singt und tanzt, als sich um seinen eigentlichen Job zu kümmern. Sein partyaffines Auftreten bringt Yulian dabei genauso viel Kritik innerhalb der Mafia ein wie seine tolerante Einstellungspolitik. Serebryakov spielt diese Seite Yulians mit einer charmanten Leichtigkeit, so dass es schnell passieren kann, dass man Yulian innerlich anfeuert, wenn er bornierte Kritiker aus den eigenen Reihen fertigmacht. Zugleich gelingt esSerebryakov aber scheinbar mühelos, Yulian in Sekundenschnelle zur bedrohlichen Präsenz mutieren zu lassen: Gerät dieser widerwillige Buchhalter der Russenmafia erst einmal in Fahrt, offenbart sich eine soziopathische Seite – mit empathielosen Augen frönt er dann seiner Liebe zur Gewalt.

Der Psycho-Niemand von nebenan

Damit ist der Mafia-Psycho eine Art verzerrtes Spiegelbild des Protagonisten: Yulian und Hutch stecken beide in einer frustrierenden Berufslaufbahn – und beide blühen förmlich auf, wenn sie Körper verletzen oder gar Leben auslöschen können. Hutch hat sein abgründiges Verlangen viele Jahre unterdrückt, weshalb er entsprechend geladen ist – selbst wenn er sich bemüht, sich das nicht anmerken zu lassen. Im Kern ist es diese soziopathische Ader, die ihn ein Stück weit von seinem „Kollegen“ John Wick abhebt: Während es bei Wick drei Filme dauerte, bis vorsichtig die Frage aufgeworfen wurde, ob er nicht vielleicht doch Spaß am Jagen, Kämpfen und Töten haben könnte, besteht bei Hutch kein Zweifel daran. Gleichzeitig ist er der schwächere Kämpfer unter den Derek-Kolstad-Schöpfungen – was aber keinesfalls bedeutet, dass es weniger Spaß macht, ihm dabei zuzuschauen!

Ilya Naishuller beweist mit „Nobody“, dass er auch ohne das Ego-Perspektive-Gimmick aus „Hardcore“ kernig-unterhaltsame Action beherrscht. Wenn sich Hutch in einem Bus mit einer Gruppe Rowdys anlegt, entbrennt eine ebenso mitreißende wie knochenbrecherische Sequenz: Naishuller wechselt hier geschickt zwischen langen Einstellungen, in denen die ausgefeilt Stuntchoreografie voll zur vollen Geltung kommt, sowie dynamischeren Stakkato-Schnittfolgen, die das gefühlte Tempo befeuern. Die Szene folgt zudem einer packenden inneren Dramaturgie, da Hutch erst sukzessive wieder in „Form“ kommt. Während er anfangs mehrmals seine Deckung vergisst, daneben schlägt oder schlicht seine eigene Stärke überschätzt, mutiert er im Laufe der Sequenz mehr und mehr zur schwer aufzuhaltenden Kampfmaschine „von damals“.

Die Filmstarts-Kritik zu Nobody (2)

... und auch Papa Nobody (Christopher Lloyd) hat es faustdick hinter den Ohren!

Von diesem Moment an zeichnen Naishullers Regieführung, die prägnante Stuntchoreografie und Odenkirks gewinnendes Schauspiel Hutch als ein zwischenzeitlich lediglich ein wenig aus der Übung geratenes Naturtalent. Hutchs Stärken kommen sogar noch mehr zur Geltung, wenn er – wie im furiosen Finale – vorausplanen kann, wohingegen er im spontanen, unbewaffneten Nahkampf allem Können zum Trotz wiederholt aus dem Gleichgewicht gerät. Dass wir Hutch im Laufe von „Nobody“ abwechselnd in seiner Komfortzone und außerhalb seines Elements zu sehen bekommen, sorgt im Zusammenspiel mit der knackigen Laufzeit (92 schnörkellose Minuten inklusive Abspann) dafür, dass sich hier absolut keine Langeweile breit machen kann.

Wann immer „Nobody“ droht, womöglich doch ein wenig monoton zu werden, holt Naishuller einen kreativen Knalleffekt oder eine gut platzierte Gewaltspitze heraus. Oder Odenkirk landet zielgenau mit einem süffisanten Augenrollen oder einem spröden Spruch einen auflockernden Lacher, ohne damit diesem Actionfest die Fallhöhe zu rauben. AuchRZA undChristopher Lloyd gelingt in kleinen, coolen Nebenrollen der Spagat zwischen keck-amüsant und verstörender Rauheit, um die angespannte Tonalität nicht zu verwässern. David Buckleys funktionaler Score voller genüsslich-selbstverständlich abgearbeiteten Actionfilmklischees und der mit güldenen Oldies bestückte Soundtrack (inklusive dem „John Wick: Kapitel 3“-Trailersong „The Impossible Dream“) tun schlussendlich ihr Übriges, um dieses Paket hübsch zu verschnüren.

Fazit: Wohl kaum jemand hätte „Breaking Bad“-Anwalt Bob Odenkirk in der Rolle einer Kampfmaschine gesehen. Aber genau dieser Besetzungs-Coup macht „Nobody“ zu einem der besten Action-Kracher des Jahres. Teil zwei darf kommen!

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